SSI-Heft 1, Dezember 1990 Startseite SSI

Ein Rückblick

Warum wurde die Initiative notwendig?

Mit dem Herbst 1989 änderten sich die Bedingungen und die Aufgaben für die Natur- und Umweitschutzarbeit gewaltig.

Entscheidende Vorteile ergaben sich aus dem Wegfall von Reglementierung, Uberwachung und Behinderung engagierter Umweltgruppen und Verbände.

Auch der frühere Bergsteigerverband der DDR, der DWBO, hatte mit seinem Bezirksfachausschuß-Vorsitzenden Herrn Siegfried Anders, den im Naturschutz aktiven Bergsteigern die Arbeit schwer gemacht. Auf Grund eines in der UNION vom Oktober 1988 veröffentlichten Artikels mit Waldschadenszahlen der Sächsischen Schweiz waren Veröffentlichungsverbote zum Thema Naturschutz in der Sächsischen Schweiz auf der DWBO-Tagesordnung des Jahres 1989.

Eine ganz andere Haltung zum Erhalt unserer Bergnatur nahm dagegen der am 21. Dezember 1989 wiedergegründete Sächsische Bergsteigerbund (SBB) ein. Von Beginn an wurde diesem Thema große Bedeutung beigemessen.

Die Aufgaben für die Naturschützer sind im zurückliegenden Jahr 1990 allerdings nicht geringer geworden, denn grundlegende ökonomische Dinge hatten sich geändert, die Vorherrschaft des Geldes trat immer stärker zutage und von ganz allein erhält die Marktwirtschaft das von allen Parteien propagierte Attribut "ökologisch" kei- neswegs.

Während früher das Geld für Hotels und Feriensiedlun- gen fehlte, Golf und Teunis nicht gefördert wurden und strenge Luftfahrtsgesetze bestanden, hatte sich das in kürzester Zeit geändert. Im April und im Mai begannen Tiefflüge des Nachfolgers der Pirnaer GST und der Interflug-Agrarstaffel Kesselsdorf, wobei z.B. stündlich über der Lokomotive und dem Amselgrund in Rathen, um den Lilienstein und über vielen anderen Gebieten geflogen wurde.

Anträge und Planungen für Hotels und große Ferien- siedlungen auf bisher unbebauter Fläche oder das geplante Trinkwasserprojekt "Sächsische Kreide" beunruhigten im Frühjahr die Naturfreunde und Naturschützer.

Grund genug, daß am Weltumwelttag 1990, dem 5. Juni, eine Demonstration im Dresdner Stadtzentrum mit etwa 2000 Teilnehmern unter dem Thema "SOS für die Sächsische Schweiz stand. Organisatoren waren die Grüne Liga, die Schutzgemeinschaft "Sächsische Schweiz", die "Naturfreunde" und auch der Sächsische Bergsteigerbund.

An diesem Tag begann unsere Unterschriftensammlung gegen eine Vermarktung der Sächsischen Schweiz. Wir wollten demokratisch die Entscheidungen der Verantwortlichen im neuen Sachsen beeinflussen und die wirksame gesetzliche Sicherung der Naturschönheiten des Gebirges einfordem.

Unterschriftenaktion am Neurathener Felsentor

August 1990. Die Unterschriftensammlung des SBB lief schon zweieinhalb Monate erfolgreich, doch war sie erst einem viel zu kleinem Personenkreis bekaunt. Wir suchten nach weiteren Möglichkeiten, viele Leute anzusprechen. Warum sollten wir es nicht mal auf der Bastei versuchen? An Besuchern mangelt es dort ja nicht - also nichts wie hin.

Mit gutem Beispiel voran: per Eisenbahn, Fähre und zu Fuß bis auf die Basteibrücke, die Kletterrucksäcke voll mit Info-Material und Unterschriftenlisten zur Sächsischen Schweiz-Initiative des SBB. Direkt auf der Brücke, im Winkel beim Neurathener Felsentor, breiteten wir unsere Listen sowie Broschüren und Prospekte von Naturschutz, SBB und DAV aus. An die Innenwände des Tores klebten wir Zettel, auf denen unsere Forderungen und Vorstellun- gen zu den einzelnen Punkten der Initiative detailliert erläutert wurden. Noch bevor wir ein großes Transparent "Sächsische Schweiz-Initiative - Unterschriftensammlung" über das ganze Felsentor gespannt hatten, kamen schon die ersten interessierten Besucher, um zu erfahren, worum es uns bei dieser Sache geht. Wir hatten nicht erwartet, daß wir mit unserer Aktion einen derartig großen Zuspruch bei den Basteibesuchern finden würden. Viele blieben stehen, lasen, fragten oft noch einmal nach und unterschrieben dann. Manche wünschten uns Erfolg bei unseren Bemühungen für die Erhaltung dieser schönen Landschaft. Mit einigen Leuten diskutierten wir aber auch ausführlich über unsere Gedanken zum Schutz der Sächsischen Schweiz und über das für und wider so mancher strittiger Fragen. Aber es gab, wenn auch nur vereinzelt, auch recht kritische oder gar abwertende Bemerkungen zu unserer Aktion, z.B. "Die jungen Kerle, so gut geht‘s denen heute und mit allem sind sie nicht zufrieden, alles wollen die verbieten - furcht- bar."

Während drei von uns ständig im Einsatz waren, um Unterschriften zu sammeln und mit den Leuten zu diskutieren, durften sich die anderen zwei beim Klettern am Neurathener Felsentor etwas erholen. Als es dann langsam auf den Abend zuging, wurden unsere Stimmen vom vielen Reden immer angekratzter, die Knie vom langen Stehen immer weicher und der Gedanke: "Wir machen Schluß - es sind genug Unterschriften für heute" versuchte sich immer häufiger in uns breit zu machen. Mehrmals nahmen wir uns vor, nur noch die eine Liste voll zu bekommen und danach aufzuhören, doch dann wurde noch eine Liste angefangen und noch eine...

Beim endgültigen Zusammenpacken waren wir kaputt und zufrieden zugleich: 1138 Unterschriften hatten wir gesammelt - 1138 Ja-Stimmen für unsere Sachsische Schweiz.

Christian Walter

Endlich: ab 1. Oktober gibt es den Nationalpark!

Aber

Ungenügender Schutz für drei Viertel des Gebirges!

Für alle überraschend, wurde Anfang September vom DDR-Parlament der Beschluß gefaßt, in der Sächsischen Schweiz einen zweiteiligen Nationalpark einzurichten.

Trotz fehlender Einbeziehung der Bevölkerung und der Umweltverbände war dies zweifellos eine gute Entscheidung zum Schutz der wertvollen Wald-Fels-Gebiete, die wir sehr begrüßen.

Ein umfassender Auszug aus der Verordnung über die Festsetzung des Nationalparks ist auf den Seiten 21-22 zu fmden, dessen Ausarbeitung kurzfristig dem Aufbaustab Nationalpark unter Leitung von Dr. Stein zu danken ist.

Zur besseren Anschaulichkeit sind auf nebenstehender Kartenskizze die Grenzen des Nationalparks eingezeichnet. Er umfaßt zum einen das Wehlener Gebiet, Rathen, das Polenztal, den Brand und die Ochelwände, zum anderen die hintere Sächsische Schweiz von den Schrammsteinen bis Hinterhermsdorf.

Erfreulicherweise können wir feststellen, daß die stren- gen Bestimmungen dieses Gebiet zu einer Tabuzone für die Tounsmusindustrie, für Hotels, für Seilbahnen u.ä. machen.

Dem Antragsteller des zum Verkauf stehenden Berggasthauses auf dem großen Winterberg durchkreuzte der strenge Status des Nationalparks die Pläne für ein 4-Sterne-Hotel mit Bettenpreis 80-120 DM und freier Zu- fahrt für Gäste auf ausgebauter Winterbergstraße ... Zum Glück.

Aber bei aller Freude darf der Rest des Gebirges nicht vergessen werden, immerhin drei Viertel der Fläche der Sächsischen Schweiz liegen nicht im Nationalpark.

Leider fiel das ursprüngliche Konzept, den Nationalpark in einer Nationalpark-REGION einzurichten, unter den Tisch.

Somit haben wir zwar für ein Viertel des Gebirges einen sehr guten Schutz, jedoch liegen gerade die Teile des Gebirges, in denen die meisten Probleme bestehen, außerhalb der Nationalparkgrenzen.

Es soll noch einmal betont werden, daß es auf Grund der strengen Bestimmungen und Defmitionen für einen einen Nationalpark keineswegs in Frage kam, die gesamte Sächsische Schweiz zum Nationalpark zu erklären. Eine Kategorie des erhöhten Landschaftsschutzes wäre anzustreben, wie es die "Sächsische Schweiz-Initiative" fordert. Wie der gegenwärtige Stand ist und welche gesetzgeberischen Möglichkeiten derzeit möglich und im Gespräch sind, darüber informiert der nächste Beitrag.



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